Ein Blick auf die Finanzkrise von 2009 und die aktuelle Corona-Krise
Geht es nach der öffentlichen Meinung und der in den Medien geäußerten Kritik, haben Manager:innen vielfach versagt. Millionen-Abfindungen trotz Abwirtschaftens, Pleiten, Pech und Pannen bei der Unternehmensführung und Unternehmenskommunikation (Vertuschungen u.a.m.), Schmiergeldskandale, persönliche Bereicherung, Personalabbau trotz Milliardengewinne oder Massenentlassungen aufgrund Verzockens von Geldern an den Finanzmärkten – die Liste der Vorwürfe ließe sich nahezu endlos fortsetzen. Auch im Zusammenhang der Corona-Krise führte so manches Agieren von Unternehmen bei der Selbstoptimierung zu Lasten der Allgemeinheit oder auch Geschäftspartnern zu Irritationen in der Öffentlichkeit.
Die Akzeptanz der Wirtschaft hängt maßgeblich von der Akzeptanz ihrer Vertreter ab – den Unternehmenslenkern und Führungskräften. Diese werden aber – so scheint es – ihrer Verpflichtung nicht mehr gerecht. Aktuelle Studien zeigen, dass die Akzeptanz der sozialen Marktwirtschaft in den letzten Jahren rückläufig ist – korrespondierend mit einem Vertrauensverlust in die Führungselite der deutschen Großkonzerne.
Während zahlreiche Firmenzusammenbrüche und Entlassungen als Rechtfertigung auf das schwierige Marktumfeld und die Globalisierung zurückgeführt werden, – dies war bei der Finanzkrise vor rd. zehn Jahren der Fall wie auch heute in Folge des Corona Lockdowns -, gibt es gleichermaßen Gegenbeispiele, die belegen, dass auch in einem schwierigen Marktumfeld Unternehmen erfolgreich agieren können. Untersuchungen zeigen, dass gerade die Qualität des Managements eine zentrale Rolle für den dauerhaften Erfolg – unabhängig von Branchenkonjunkturen – darstellt¹. Daraus folgt: Nicht das Management generell ist das Problem selbst, jedoch inhärenter Bestandteil des Problems. Das Versagen hat dabei zwei Qualitäten:
• Fehler beim unternehmerischen Handeln im engeren Sinne (Fehleinschätzungen o.ä.),
• Nicht-Erfüllung von moralischen Anforderungen (moralisches Versagen).
¹ Korn / Ferry International: Leadership in a Time of Rapid Change, 2008
Der zweite Gesichtspunkt ist aufgrund seiner langfristigen Folgen wie auch der gesellschaftlichen Tragweite zum Teil noch schwerwiegender einzustufen: Die Erosion von Verantwortungsübernahme und gesellschaftlicher Verpflichtung sowie der Verlust an Gemeinsinn und der Vorbildfunktion. Das Kernproblem ist damit tiefgründiger und weitgehender.
Sind Führungskräfte dabei schlechter als jene vor zehn oder 20 Jahren? Sicherlich nicht. Bei den allseits wahrgenommenen Fehlentwicklungen handelt es sich weniger um ein Problem einer spezifischen Berufsgruppe. Das entstandene Bild in der Öffentlichkeit zeigt eher eine verzerrte Wahrnehmung und einseitige Fokussierung auf Entgleisungen und Abgehobenheit einzelner. Zugleich ist es auch ein Spiegelbild der eigenen medialen Filterblase und Echokammer. Es geht nicht um Beschönigung von Fehlverhalten. Das eigentliche Problem ist strukturinhärent. Bislang ausreichende Steuerungsmechanismen funktionieren nicht mehr, bewährte Verhaltensweisen und Instrumente sind überholt, sind von gestern: „Externe Effekte“ und Marktversagen bei der Umwelt als öffentliches Gut in Form von Umweltausbeutung und -verschmutzung sowie soziale Blindheit des Marktes, die Überhöhung des Gewinnstrebens gegenüber der Lebensdienlichkeit der Wirtschaft sowie die Dominanz des kurzfristigen Gewinnstrebens statt langfristiger Perspektive unternehmerischen Handels.
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Die aktuelle Krise hat erneut entlarvt, was Kritiker schon lange anmahnten: Wohlstand und Wachstum waren auf Verschuldung und Kosten Dritter aufgebaut. Der langwährende, vermeintliche Erfolg war eine Täuschung und Verschleierung der Defekte des Systems. Doch gegen Erfolg lässt sich schwer argumentieren, auch wenn er auf tönernen Füssen gebaut ist.
Was ist die Antwort?
Das bishergige System, das sich allein in Geldkategorien bemisst, muss umgebaut werden. Unstrittig dabei ist, dass es der Auftrag von Unternehmen ist, Geschäfte zu machen und Geld zu verdienen – nicht jedoch als Selbstzweck.
Wir brauchen wieder Unternehmen als Institutionen mit gesellschaftlicher Verantwortung. Wir brauchen eine Unternehmens- und Wirtschaftsethik mit konkreten Vorstellungen, denen Unternehmen genügen sollen mit Verhaltenskodizes und Transparenz sowie einer Abkehr vom reinen Shareholder Value hin zu einem Stakeholder Value Ansatz. Ein Appell an die Vernunft allein ist nicht ausreichend. Die Selbstregulierungskraft des Marktes hat noch nie ausgereicht. Gerade im globalen Kontext zeigt sich nahezu täglich ein Handeln wider die Vernunft. Es bedarf eines Ausbruchs aus dem Dilemma aufgrund von Konformitäts- und Anpassungsdruck gegen seine eigenen Überzeugungen zu handeln. In einer Studie stellt Egon Zehnder International fest, dass jede zweite Führungskraft die Erfahrung gemacht hat, um das Vertrauen von Investoren zu gewinnen gegen die langfristigen Interessen des Unternehmens handeln zu müssen.²
Ähnliches gilt auf Unternehmensebene für das Thema Corporate Social Responsibility. Grundsätzlich wird diesem Handlungsfeld zwar eine große Bedeutung beigemeßen, jedoch primär zur Außendarstellung und zur Verbesserung des Unternehmensimages eingesetzt. Das Verständnis für soziale Verantwortung wird reduziert, um am Markt erfolgreich zu sein, Gewinne zu erwirtschaften und Arbeitsplätze zu schaffen, nicht jedoch als zentrale Management Aufgabe oder inhärenten Purpose bzw. zur Legitimation im Sinne des gesellschaftlichen Impacts als „licence to operate“. Die Diskrepanz zwischen dem grundsätzlichen Befürworten und tatsächlichem Handeln zeigt sich auch in der geringen Bedeutung, die Führungskräfte der sozialen Verantwortung als Management-Kompetenz zuschreiben.³ Und dennoch: Letztendlich getragen werden kann die notwendige Veränderung nur seitens der Unternehmer und Führungskräfte selbst.⁴ Dies wird aber wohl nur dann gelingen, wenn das Thema soziale Verantwortung auch in einem entsprechenden People- und Talent-Management sowie bei der Auswahl und Ausbildung und Führungskräfte-Entwicklung Berücksichtigung findet.
Neben einem gesellschaftlich wie von der Wirtschaft gelebten Wertekanon besteht die Notwendigkeit der Veränderung grundlegender Rahmenbedingungen des unternehmerischen Handelns. So sind neue Governance-Strukturen auf internationaler Ebene erforderlich, die die eingetretenen Fehlentwicklungen korrigieren bzw. künftig reduzieren.
Bezogen auf den Einzelnen bedeutet es die Rückkehr zu klassischen Tugenden, die Entwicklung des eigenen moralischen Bewusstseins und ethischen Handelns wie auch das kritische Hinterfragen und ggf. das Neuausrichten seines persönlichen Handelns innerhalb der betrieblichen Strukturen. Es bedeutet darüber hinaus die Kultivierung von Integrität als zentralem Element von Leadership, d.h. Ehrlichkeit, Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit. Auch heisst es als Führungskraft- vom Middle bis zum Top Management – sich in Richtung Public Leadership weiterzuentwickeln, gesellschaftlich, öffentlich Position zu beziehen und den gesellschaftlichen Diskurs zu führen, um zu den jeweilkigen gesellschaftliuchen Herausforderungen einen neuen Grundkonsens „zu erstreiten“. So wie es intern heißt als Integrator und Orientierungsfigur zu agieren, heißt es auch in der digitalen Welt von heute, sich nicht „wegzuducken“ und den Diskurs dem Lobbying von Verbänden zu überlassen, sondern auch hier Attraktor- und Vertrauensgeber:in zu sein.
Die Führungskräfte in Deutschland sehen hier bei sich selbst Handlungsbedarf. So werden Spitzenmanager im Vorstand von börsennotierten Unternehmen bzgl. ihrer Integrität eher zurückhaltend bewertet.⁵ Image kann man aufpolieren, Reputation nicht, Ethik ist mehr als bloßes Gerede. Jene, die Wasser predigen, aber Wein trinken, sind nicht Eliten, sondern schlechte Führungskräfte. Es zeigt sich immer mehr: Es besteht in unserer Gesellschaft eine Sehnsucht nach Vorbildern, nach Anstand und Halt.
Zu Recht oder zu Unrecht, überzogene und einseitige Kritik an dem Manager Berufsstand oder nicht, Tatsche ist, dass die Wahrnehmung und das Urteil der Öffentlichkeit katastrophal ausfällt. Zumindest hierin besteht Konsens. Nach eigener Einschätzung der Führungskräfte wird das Ansehen des Berufsstandes als gering eingeschätzt. Nur 5% in Deutschland meinen in ihrem Land ein besonderes Vertrauen zu genießen.⁶ Somit besteht Handlungsbedarf, gesellschaftlich wie auch für jeden Einzelnen, als Führungskraft und selbst als Betroffener und Beteiligter, Stellung zu beziehen.⁷
Nochmals: Nicht alle Führungskräfte sind schlecht! Es gibt zahlreiche Gegenbeispiele – im Top Management wie auch im erweiterten Führungskreis der Unternehmen. Es gibt sie, die Leuchttürme und Vorbilder, herausragende Unternehmen wie z.B. Würth, Trumpf, dm drogerie markt, SAP, Burda mit ihren Unternehmerpersönlichkeiten wie Reinhold Würth, Götz Werner, Hasso Plattner, Burda, u.a. Was jedoch fehlt, ist ein Aufbegehren des eigenen Berufsstandes gegen die schwarzen Schafe. Wir benötigen eine Mobilisierung derer, die sich schon immer gegen die fehlerhafte Art der Unternehmensführung unter Druck der Finanzanalysten stemmten. Konkret heisst das, bei sich selbst anzufangen, Gegenposition zu beziehen, Momentum aufzubauen bei sich im Unternehmen und damit auch das einseitige, negative Bild in der Öffentlichkeit wieder „gerade zu rücken“.
Was wir inhaltlich zugleich brauchen sind neue Management Konzepte jenseits der Postmoderne. Konzepte die eine „New SocioConomy“ den Weg bereiten.
Voraissetzung dafür ist ein neues Denken. Wir müssen die Grenzen alter Erfolgsprinzipien und des alleinigen rationalen Denkens verstehen. Das immer noch vorherrschende Newtonsche Weltbild „der Mensch als Maschine“, das vielfach unserer Gesellschaft und Wirtschaft unverändert zugrundeliegt, gegen ein neues, heute menschengerechtes sowie Lebens- und umweltdienliches ablösen.
Mit der Demokratisierung des Wissens, neuen Anforderungen und Rahmenbedingungen brauchen wir auch neue Antworten auf die digitale Welt von heute – in der Post Corona Zeit umso mehr: im Sinne ganzheitlich sinnorientiert statt eindimensional, Partnerschaft statt Wettbewerb, ethisch verantwortungsbewusst statt rivalisierend ausbeutend, proaktiv visionär statt technokratisch reaktiv, potentailorintiert statt Staus Quo bezogen. So geht es um die Wiederentdeckung der Intuition im Umgang mit Komplexiät der digitalen Welt. Agile Werte, Prinzipien und Methoden statt Linearität sind hier ein erster Schritt in die richtige Richtung. Unsere Lern- und Adaptionsfähigkeit stärken und beschleunigen als Grundvoraussetzung für die notwendige Veränderungen der individuellen und organisatorischen Transformation.
So wie sich die Menschenbilder verändern – den veränderten Blick und neue Erkenntnis, die wir haben – so müssen sich auch die Management Konzepte anpassen.
Ihnen liebe Managerin, lieber Manager, wünsche ich bei Ihrem unternehmerischen Wirken in der neuen Zeit viel Erfolg und damit auch ein besseres und adäquateres ansehen in der Öffentlichkeit. Wirtschaft das sind wir alle und Gesellschaft ebenso.
² Egon Zehnder International: Zwischen strategischen Notwendigkeiten und sozialer Verantwortung, 2005
³ Egon Zehnder International: Zwischen strategischen Notwendigkeiten und sozialer Verantwortung, 2005
⁴ Vgl. Roth, Gerhard / Rudnick, HansJoachim: Managerentscheidungen – Antriebe des Unbewussten – Warum deutsche Manager so sind, wie sie sind – und bisweilen kriminell werden. Ein Blick in ihr Innerstes. In: Süddeutsche Zeitung, 22.07.2008
⁵ Egon Zehnder International: Zwischen strategischen Notwendigkeiten und sozialer Verantwortung, 2005
⁶ Egon Zehnder International: Vertrauen ein knappes gut, ungleich verteilt, 2008
⁷ Vgl. Goeudevert, Daniel: Das Seerosen-Prinzip. Wie uns die Gier ruiniert, Dumont, 2008, S. …
Zum Autor
Clemens Brandstetter – Rückfragen: Tel. 0175 2722164
Jahrgang 1970, arbeitete rund 20 Jahre in der IT- und TK-Industrie als Leitender Angestellter in diversen Führungspositionen Dax-notierter Technologie-Konzerne. Schwerpunkte seiner Tätigkeit waren Strategie- und Geschäftsentwicklung, Re-Organisation von Unternehmenseinheiten sowie die Umsetzung unternehmensweiter Transformationsprogramme. Seit 2015 ist er geschäftsführender Gesellschafter bei der macc GmbH für Führungskräfte- und Organisationsentwicklung und begleitet Unternehmen bei ihren Veränderungsvorhaben. Darüber hinaus ist er Gründer und Business Angel von mehreren Initiativen und Start ups. Er ist verheiratet und lebt in Düsseldorf.