Kook-Hyun Moon/CEO Hansoll im Gespräch mit Winfried W. Weber
In beiden Ländern, der Republik Korea und Deutschland ist die Wirtschaft wettbewerbsintensiv und exportorientiert. Treten wir nach einer Art Hyper-Globalisierung in eine Phase der De-Globalisierung ein? Und wenn ja, welche Herausforderung bedeutet dies für das Management von Unternehmenen?
Teilweise ja! Die Hyperglobalisierung wird sich erheblich verlangsamen, und in den USA und in Europa wird eine Umstrukturierung gefördert. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass die De-Globalisierung an einem Tag stattfinden wird. Eine ausgewogene Globalisierung könnte die Antwort sein. Die Unternehmensleitungen müssen bei der Diversifizierung ihrer Märkte und Beschaffungsländer aggressiver vorgehen.
Ist eine Gegenreaktion bereits erkennbar, dass es weniger Arbeitsteilung geben wird? Welches Szenario sehen Sie in Ihrem Unternehmen?
Das Unternehmen wird seine internen Kapazitäten erweitern, um weniger von chinesischen Materialien abhängig zu sein. Gleichzeitig wird das Unternehmen weniger von herkömmlichen Offline-Geschäften abhängig sein. Stattdessen wird das Unternehmen mehr in Omni-Channel-Stores, digitale Plattformen, Smart Work, Smart Conferencing und Smart Manufacturing investieren. Die zukünftige Lieferkette wird konzentrierter, kürzer, agiler und widerstandsfähiger sein.
In der gegenwärtigen globalen Schockphase geht es zunächst um das bloße Überleben. Die Bekleidungsindustrie ist davon besonders stark betroffen. Geschäfte und Einkaufszentren sind als nicht systemrelevante Bereiche weltweit geschlossen. Wie kann Hansoll überleben?
Die Bekleidungsindustrie ist eine der von der Pandemie extrem betroffenen Branchen. Die monatelange Sperrung von Geschäften und Einkaufszentren in den USA ist ein echter Schock für die Branche. Geschäfte und Einkaufszentren bezahlten ihre Rechnungen nicht mehr. Alle Sendungen werden gestoppt. Die Lagerbestände in der globalen Lieferkette haben sich verdoppelt. Der Zahlungsverzug stieg von traditionell 60 Tagen auf 120 Tage. Interne Innovationen in den Unternehmen werden entscheidend.
Darüber hinaus wird die Unterstützung durch globale öffentliche Mittel wie den IWF und die nationalen Regierungen immer dringender, um diese globale Lieferkette vor ihrer plötzlichen faktischen Insolvenz zu retten.
Kurzfristige Lösungen wären, dass die internationalen Forderungen durch globale Rettungsfonds teilweise übernommen werden. Die übermäßigen Lagerbestände in der globalen Lieferkette könnten aus lokalen öffentlichen Mitteln teilfinanziert werden, um unnötige Entlassungen zu minimieren.
Mittelfristige Lösungen gehen in die Richtung, dass die Omni-Channel-Fähigkeit und -Kapazität beschleunigt werden, also die Integration aller Offline- und Online-Kanäle, um ein ganzheitliches Kundenerlebnis aufzubauen. Dann gilt es, die digitale Transformation innerhalb des Unternehmens und in der gesamten globalen Lieferkette zu beschleunigen sowie in die neuen globalen Märkte für medizinische Produkte und Schutzkleidung einzusteigen. Nicht zuletzt werden wir mehr in Menschen investieren und uns weiterhin vor Ort für zivilgesellschaftliche Entwicklungen einsetzen.
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Die Frage ist, wie Unternehmen in diesem radikal neuen Umfeld ein Gleichgewicht finden. Sprechen wir zunächst über die Organisation zukünftiger Lieferketten. Derzeit wird deutlich, dass man in der internationalen Wirtschaftspraxis die die Kostenminimierung beispielsweise von Medizintechnikprodukten oder pharmazeutischen Rohstoffen übertrieben hat. Diese kommen alle „aus demselben Korb“, auch wenn es manchmal nur um Einsparungen von Cent-Beträgen ging. Ein Lager? Verschwendung! Die Lagerhaltung war aus der Mode gekommen. Was erwarten Sie in Ihrem Geschäftsbereich bei der globalen Lieferkette?
Diversifikation wird angestrebt. Geografisch wird die Abhängigkeit von chinesischen Materialien verringert. Ebenso wird die Abhängigkeit vom US-Markt verringert. Kanalweise werden Online- und Omni-Kanäle auf Kosten herkömmlicher Offline-Einzelhandelsgeschäfte wachsen.
Was bedeutet das alles für Ihre praktische Führungsaufgaben? Wie motivieren Sie und geben Ihren Mitarbeitern Orientierung? Wie entwickeln Sie derzeit Teams und Einzelpersonen? Nutzen Sie Kurzarbeit für Schulungen? Sie sprechen von der Herausforderung Innovation – können Unternehmen beides gleichzeitig, Kosten senken und Innovieren?
Alle Mitarbeiter sind zu Geschäftsdiskussionen eingeladen, einschließlich Vision Sharing, Risiko- und Chancenanalyse, Strategieentwicklung, Budgetierung, Prozessentwicklung usw. Durch diesen transparenten und offenen Prozess des Informationsaustauschs werden Zweck, Mission, Ziele, Werte, Vision und Strategien des Unternehmens vollständig geteilt, um Teams mit starker und gesunder Eigenverantwortung für alle aufzubauen.
Um die Fähigkeiten des Einzelnen zu verbessern, spielt das lebenslange Lernen am Arbeitsplatz bei uns eine zentrale Rolle und wird vom Unternehmen gefördert. Auch bei Kurzarbeit werden Schulungen regelmäßig und nach Bedarf angeboten. Derzeit konzentriert sich das Unternehmen auf digitale Transformation und eine digitale Plattform. Hauptthemen sind 3-D-Digitaldesign einschließlich Digital Fit, Digital Sample und Digital Showrooming. Auch Digitale Konferenzen, intelligente Arbeitssysteme, intelligente Fertigung und Product Lifecycle Management sind wichtige Bereiche. Mit der Corona-Krise haben wir Work-from-Home, Gleitzeit, Umbau des Schichtbetriebs und Management by Objectives mit Selbstkontrolle breit eingeführt. Kostenoptimierung durch Prozessinnovation wird kontinuierlich praktiziert. Die Gehälter und Löhne wurden bisher jedoch nicht gekürzt.
Insgesamt sind kontinuierliche Innovation und Unternehmertum aller Mitarbeiter der Schlüssel zum anhaltenden Erfolg.
Koreanische Wirtschaftsakteure haben den Ruf, dass ihr Management und ihre Belegschaften bereit dazu sind, schnelle Entscheidungen zu treffen. Koreanische Kunden sind bekannt dafür, äußerst innovationsgetrieben zu sein. Nehmen wir die aktuelle Corona-Krise. Koreas Modell zur Abflachung der Kurve bei Infektionen funktioniert deutlich besser als alle europäischen Lösungen. Regierungsentscheidungen waren effektiv und extrem schnell. Die Zivilgesellschaft in Korea war sensibilisiert und die Menschen haben ihr Verhalten rasch geändert.
Wie haben Organisationen reagiert? Was waren Ihre Lösungen, um die Kurve abzusenken?
Das Unternehmen betonte die Bedeutung der sozialen Distanzierung gegen Coronaviren, die im Februar in China ihren Anfang nahm. Das Unternehmen forderte die Mitarbeiter auf, nicht nach China zu reisen, keine Besucher aus China zu treffen und nicht ohne Maske in enge Besprechungsräume und Aufzüge zu gehen. Das Unternehmen stellte allen Mitarbeitern in Korea nach Bedarf Masken zur Verfügung. Das Unternehmen forderte außerdem alle Mitarbeiter auf, sich für den Schichtbetrieb in Korea in zwei bis drei Gruppen oder Schichten aufzuteilen.
Damit konnte die Arbeit in den letzten 6 Wochen, zum Teil auch von zu Hause aus, ohne Betriebsunterbrechungen sehr erfolgreich durchgeführt werden. Zur Unterstützung der Arbeit von zu Hause aus wurden Tools und Kits für digitale Konferenzen bereitgestellt. Für Pendler wurde die Gleitzeit gefördert, damit die Mitarbeiter Stoßzeiten vermeiden können, insbesondere im öffentlichen Personennahverkehr.
Unter anderem wurden die Büros durch Eingangs- und Besucherkontrolle sicher und gesund gehalten, während alle Mitarbeiter aufgefordert wurden, ihr Zuhause durch die Minimierung sozialer Begegnungen und Veranstaltungen gleichermaßen sicher und gesund zu halten. Darüber hinaus wurde in Büros und zu Hause häufiges Händewaschen praktiziert.
Wenn wir Europas Lösungen für die Pandemie beobachten, müssen wir zugeben, dass es zu lange eine europäische Arroganz gegenüber ostasiatischen Lösungen gegeben hat. Wir sollten vom koreanischen Modell lernen, von der effektiven Regierung und Verwaltung, von der Solidarität in der Zivilgesellschaft und zwischen Organisationen und von den Netzwerken und Nachbarschaften in Ihrem Land. Können Sie uns das koreanische Modell bitte erläutern und einige Beispiele nennen?
Korea hat viel aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt, darunter SARS (2003), Influenza-A (2009) und MERS (2015). Als Konsequenz wurde 2004 in unserem Land ein unabhängiges Zentrum für die Kontrolle und Prävention von Krankheiten mit dem Namen KCDC eingerichtet und es in den letzten 16 Jahren kontinuierlich erweitert. Das System des Nationalen Krankenversicherungsdienstes (NHIS) hat auch die medizinischen und öffentlichen Gesundheitssysteme in Korea zu einem der besten Systeme der Welt ausgebaut, was Institutionen und ihre Zuständigkeiten, medizinisches Personal, Benutzerfreundlichkeit, Umfang usw. betrifft. Auch die frühe Entwicklung und der aggressive Einsatz der Testkits waren wirksam, um die Infizierten früh genug zu isolieren.
Der andere wichtige Beitrag, um die Öffentlichkeit auf das Coronavirus aufmerksam zu machen, war eine Smartphone-App, die die Wege der Infizierten zu den Menschen bekannt machte und die von unseren Bürgern landesweit in kürzester Zeit angenommen wurde.
Auch in den meisten Organisationen hat sich rasch ein solidarisches Verhalten zur Eindämmung der Erkrankung durchgesetzt, auch im Austausch auf allen Ebenen in unserer partizipativen Demokratie und ihren Medien. Infolgedessen sind bei uns kommunikative Arbeitsbeziehungen und die gegenseitige Hilfe bei Krisen und Katastrophen normal. Ein gutes Beispiel war die 1997 und 1998 in der asiatischen Finanzkrise landesweit durchgeführte Goldsammelkampagne zur Rettung der koreanischen Wirtschaft, bei der über drei Millionen Bürger mehr als 200 Tonnen Gold spendeten.
Nicht zuletzt ist bei uns das Tragen einer Gesichtsmaske generell weit verbreitet, um Familie, Kollegen und Nachbarn vor der Ausbreitung von Viren in der Wintersaison zu schützen und sich vor dem gelben Staub zu schützen, der im Frühjahr aus China die Luftqualität verschlechtert. Diese Kultur und Gewohnheiten ermöglichten es uns, schon vor dem Coronavirus bedeutende Bestände an Masken zu Hause, im Einzelhandel, in Fabriken und bei der Regierung zu haben.
Sie engagieren sich für gemeinnützige Organisationen und die soziale Verantwortung des Managements, zum Beispiel für die Peter Drucker Society of Korea, das KH Moon Center for a Functioning Society, Keep Korea Green, und viele mehr. Was bewegt Sie dazu, über den Tellerrand zu schauen und den Zweck eines Unternehmens und einer Führungsposition so breit zu definieren?
Wir alle sind voneinander abhängig, wie die Corona-Krise es belegt. Ein Patient kann die ganze Familie, die ganze Kirche, die ganze Firma und schließlich seine Verwandten, Freunde und Nachbarn infizieren. Ein Reisender kann die ganze Stadt, das ganze Land und die ganze Welt infizieren. Daher ist es für den Erfolg von Communities auf lokaler oder globaler Ebene entscheidend, gegenseitig eine Win-Win-Situation zu schaffen.
Auf der anderen Seite gibt es inzwischen große Lücken in den Fähigkeiten und Kapazitäten, zwischen Branchen und Regionen. Der schwächste Sektor ist der soziale Sektor, während der Wirtschaftssektor reich an Talenten, Wissen, Erfahrungen, Fonds und Netzwerken ist. Aber wenn die Bedürfnisse und Probleme in der Zivilgesellschaft auf die gut ausgebildeten Menschen und Talente großer Unternehmen treffen, werden die sozialen und globalen Probleme zu Chancen für eine funktionierende Gesellschaft. Je stärker und gesünder der soziale Sektor ist, desto effektiver und funktionaler ist die Gesellschaft.
Geografisch gibt es viele Entwicklungsländer, die Wissen, Erfahrungen, Führung und eine gut funktionierende Gemeinschaft und Regierung wollen. Das Teilen unserer Erfahrungen, Kenntnisse, Visionen und Werte mit ihnen wird sie ermutigen, es besser für sich selbst, für ihre Länder und schließlich für diesen kleinen Planeten zu machen. Man könnte damit anfangen, einen Baum zu pflanzen oder sich um die Bildungschancen der nächsten Generation zu kümmern.
Alleine kann man schneller gehen. Zusammen kommt man weiter!
Herr Moon, wir danken Ihnen für das Gespräch!
Zu den Autoren
Moon Kook-Hyun
Trustee of The Asia Foundation; President & CEO, Hansoll Textile Ltd.; Chairman & CEO, New Paradigm Institute; Former President & CEO, Yuhan-Kimberly
Moon Kook-Hyun joined The Asia Foundation Board of Trustees in 2017. He is the president & CEO of Hansoll Textile Ltd, and the Chairman & CEO of the New Paradigm Institute. He is the former president and chief executive officer of Yuhan-Kimberly, Limited, a 70:30 joint venture company between Kimberly-Clark Corporation and Yuhan Corporation in Korea. Mr. Moon has been an environmental leader for 30+ years.
He initiated “Keep Korea Green”, the first company-sponsored environmental campaign in Korea in 1984, which created mountain paths, “Forest for Schools,” “Forest for Life,” “Forest for Peace,” “Northeast Asia Forest Forum,” and numerous educational activities for students, newly-weds, and opinion leaders in the country. His efforts on environmental protection and education have been recognized by the United Nations Environmental Program with its prestigious award, named “Global 500 Roll of Honor,” in 1997. He also received the Asian Environmental Award from Korea/Japan Daily Consortium in 1998. Mr. Moon also served as president of the Creative Korea Party from 2007 to 2009. He received a bachelor’s degree in English and Business Administration from HanKook University of Foreign Studies and a master’s degree in Business Administration from Seoul National University.
Prof. Dr. Winfried Weber – Rückfragen: Tel. 0172 28 44 585
Professor für Management, Hochschule Mannheim
Gründer und Vorstand der Peter Drucker Society of Mannheim e.V., die u.a. den Mannheimer Purpose Summit durchführt.
Winfried Weber und Kook-Hyun Moon waren mit dem Mitbegründer der modernen Managementlehre, Peter F. Drucker verbunden und haben beide Peter Drucker Societies in ihren Ländern gegründet.